Montag, 31. März 2008

"La legende de l'absinthe"

Bewahret mir diese dunkle Ecke, damit ich sitzen kann, während die grüne Stunde herabgleitet. Ein stolzer Pfauentanz der Zeit. Nun bin ich nicht mehr dazu verflucht, in dieser Stadt zu sein, in der die Zeit auf dem kastrierten, weißen Tod reitet, ihre Sporen vor Blut rostend. Es gibt eine Ecke der Vereinigten Staaten, die er übersehen hat. Sie liegt in New-Orleans, zwischen Canal Street und Esplanade Avenue unterhalb des Mississippi. Von dort aus reicht sie nordwärts bis zu einer kuriosen Wüstenlandschaft, wo sich ein traumhaft schöner Friedhof befindet. In seinen flachen, kalkweißen Wänden, streift eine Wildnis seltsamer, fantastischer Gräber unmittelbar eine große Bordell-Stadt, deren Freuden recht zynische Nachbaren sind. Wie Felicien Rops schrieb - oder war es Edmond d'Haraucourt? - "La Prostitution et La Mort sont frere et soeur les fils de Dieu!" (die Prostitution und der Tod sind Bruder und Schwester, die Kinder Gottes).

Auf jeden Fall hatte der Author von "Le Legende des Sexes" recht und ebenso die Psychoanalytiker nach ihm, wenn sie die Mutter mit dem Grab identifizierten. Das ist aber nur der Anfang und das Ende der Sache, dieses "Quartier Macabre" hinter dem North Rampart mit dem Mississippi auf der anderen Seite. Es ist wie die Kluft zwischen unserem Leben, das fließt und befruchtet, während es schlammig und malariös fließt, obwohl es sich eigentlich in den warmen Busen des Golfstroms leeren sollte, den wir (in unserer Allegorie) das Leben Gottes nennen mögen. Aber unsere Sache liegt im Kern der Dinge, wir müssen über die rohen Natur-Phänomene hinaus gehen, wenn wir zum Geistigen gelangen wollen. Kunst ist die Seele des Lebens, und das alte Absinthe-Haus ist das Herz und die Seele des alten Viertels von New-Orleans. Gerade hier war das Hauptquartier keines geringeren Mannes als des berüchtigten Piraten Kapitän Lafitte, der seine Nachbarn nicht nur beraubte, sondern sie auch gegen Invasoren verteidigte. Hier saß auch Henry Clay, der lebte und starb, um seinen Namen einer Zigarre zu geben. Außerhalb dieses Hauses erinnert sich kein Mensch an viel mehr als das von ihm, doch hier drängt sich einem sein grimmiger, und, wie ich glaube, darüber ungehaltener Geist spürbar auf. Hier, sind auch die Marmorbassins, ausgehöhlt, und geheiligt- vom Herabtropfen des Wassers, welches durch Taufe den neuen Geist des Absinthes erzeugt.
Ich nippe erst an meinem zweiten Glas dieses "faszinierenden aber subtilen Giftes, dessen Verwüstung Herz und Gehirn der Menschen verschlingt", das ich bisher in meinem Leben probiert habe. Und, da ich kein auf schnelle Wirkung bedachter Amerikaner bin, bin ich auch weder überrascht noch enttäuscht, daß ich nicht auf der Stelle Tod umfalle.

Aber ich kann die Seelen schmecken - auch ohne die Hilfe des Absinthes. Nebenbei ist gerade dies der Zauber des Absinthes. Der Geist dieses Hauses ist in ihn eingeflossen. Es ist ein Elixier, das Meisterwerk eines alten Alchemisten, kein gewöhnlicher Wein. Und so, während ich mich mit dem Wirt über die Wertlosigkeit der Dinge unterhalte, nehme ich das Geheimnis des Wesen Gottes selbst wahr: Alles, selbst die wertloseste Sache, ist so unaussprechlich bezaubernd, daß es der Hingabe eines Gottes in aller Ewigkeit würdig ist. Welche andere Ausrede könnte Er sonst dem Menschen für seine Erschaffung angeben? Im Wesentlichen ist das meine Antwort auf König Salomon.

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